Mutterform
Mit ihrer Arbeit „Mutterform“ gelingt es Marie Zbikowska, die gemeinhin getrennten Sphären von Kunst, Arbeit und Mutterschaft in einem multimedialen Raum so zusammenzuführen, dass jede dieser Sphären zur Metapher der anderen wird. Dies beginnt bereits beim Titel der Arbeit, der eigentlich der Gießerei-Industrie entstammt und eine zum Zweck der Vervielfältigung auszugießende Hohlform bezeichnet. Wenn man jedoch den Akzent stärker auf den ersten oder den zweiten Wortbestandteil – also auf die Mutterform oder auf die Mutterform – legt, setzt der technische Terminus unweigerlich biologische, gesellschaftliche oder künstlerische Assoziationen frei. Dieser Polyvalenz des Begriffs entsprechend, kommt es in Zbikowskas Arbeit auch zu einer gegenseitigen Verzahnung der verwendeten Medien. Das Negativ als Voraussetzung von beliebig oft reproduzierbaren Positivbildern liegt sowohl verschiedenen Gussverfahren als auch der Fotografie zugrunde. Zudem hat Zbikowska die Farbpalette für ihre installative Arbeit reduziert. Nicht nur Fotografien, Filme und plastische Werkteile, sondern auch die Materialien der technischen Infrastruktur – wie Fernseher oder Podeste – sind ganz in Schwarz, Weiß und Grau gehalten. Dies verleiht der Arbeit ein überaus nüchtern-strenges Gepräge.
Die genannten Elemente der Installation sind in der räumlichen Präsentation kontrapunktisch gegeneinandergesetzt. Zu den technoiden Formen der drei Monitore bildet die größte der drei Mutterformen aus Gips, die wie ein riesiger Kokon aussieht, einen starken, organisch anmutenden Gegenpol. Die drei Barytabzüge an der Wand nehmen dies auf und zeigen die Künstlerin in Interaktion mit einer ähnlichen kokonartigen Gipsform, der sie sich wie ein seltsames Insekt zu entwinden versucht, ohne ihr ganz entkommen zu können. Die Filme wiederum führen Handlungen, Dialoge und Gesten vor, die – gerade auch in der Form des Loops – als zwanghafte Wiederholungsmechanismen kenntlich werden. Sie alle erzählen von jener unterschwelligen Gewalt, die sich in alltäglichen Routinen und Konventionen endlos zu reproduzieren scheint. Aus dieser Perspektive erscheint dann auch die „Mutterform“ geradezu als Matrix und Inbegriff der ewigen Wiederkehr des geschlechterpolitischen Unglücks in Kunst und Gesellschaft.
All dies wäre unendlich trübselig und aussichtslos, würden nicht die performativen Darbietungen der Künstlerin in den gefilmten Handlungen und souverän gesprochenen Texten einen anarchischen Humor in das scheinbar unabänderliche Zwangsgefüge bringen, der mit lustvoller Ironie und gutem Sinn fürs Absurde einen Spalt für mögliche Veränderungen öffnet – beginnend mit der Einsicht, dass sich die Sphären von Kunst, Arbeit und Mutterschaft für eine Künstlerin, die zugleich Mutter ist, eben nicht säuberlich trennen lassen.
Bertram Kaschek
Installation mixed media, 2024, 3-teilige Serie (Silbergelatine-Print,
je 40x50cm), Video (720x576) Gesamtlaufzeit 9:37min., Gips 5- teilig (140cm, 100cm, 90cm, 60cm, 40cm) 1-2 Metallgestelle(120 cm, 70cm) Monitore, Lautsprecher, Dvd-Player-Media-Player
Installationsansicht: Villa Merkel, Esslingen, Ausstellungsfotos: Frank Steinbach